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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Berechnung der Urlaubsabgeltung - Einbeziehung von Weihnachtsgeld
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 29.07.2025 – 11 Sa 29/25
Gezahltes Weihnachtsgeld ist bei der Berechnung der Urlaubsabgeltung nicht mit einzubeziehen.
II.
Rückzahlung Fortbildungskosten, Rückzahlung Gehalt, AGB-Kontrolle, Vertretenmüssen
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 19.08.2025 – 7 SLa 647/24
1. Für den in einer Rückzahlungsklausel verwendeten Begriff des Vertretenmüssens kommen zwei vertretbare Auslegungsmöglichkeiten in Betracht: Der Begriff kann im Sinne des § 276 BGB als Verschulden durch vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten interpretiert werden. Er kann aber auch als dahingehend interpretiert werden, dass er alle Gründe umfasst, die aus der jeweiligen Verantwortungs- und Risikosphäre stammen.
2. Eine Rückzahlungsklausel ist auch dann unangemessen benachteiligend iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn sie den Arbeitnehmer, der das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Bindungsdauer kündigt, weil es ihm z.B. aufgrund eines durch eigene leichteste Fahrlässigkeit verursachten Unfalls nicht mehr möglich ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, zur Erstattung der Fortbildungskosten verpflichten soll.
3. Eine Rückzahlungsklausel im Vertrag eines Brandmeisteranwärters, die vorsieht, dass die während der 18-monatigen Ausbildung zum Brandmeister gezahlte Bruttovergütung bei einem vorzeitigen Ausscheiden zeitratierlich zurückzuzahlen ist, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.
III.
Verstoß gegen ein vertragliches Wettbewerbsverbot
Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 18.08.2025 - 18 U 61/24
1. Die Vermittlung von Versicherungsmaklerverträgen zu Bestandskunden durch einen (Unter-)Vertreter während des bestehenden (Unter-)Handelsvertreterverhältnisses kann als Verstoß gegen ein vertragliches oder gegen das gesetzliche Wettbewerbsverbot zu werten sein.
2. Der Auskunftsanspruch des Unternehmers setzt u.a. den begründeten Verdacht einer Vertragspflichtverletzung voraus, der gegeben sein kann, wenn der (Unter-)Vertreter an einer Gesellschaft beteiligt ist, die sich als Versicherungsmaklerin betätigt.
3. Erforderlich ist ferner, dass sich der Unternehmer die zur Vorbereitung und Durchsetzung etwaiger Schadensersatzansprüche notwendigen Auskünfte nicht auf zumutbare Weise selbst beschaffen kann (BGH, Urteil vom 01.08.2013, Az. VII ZR 268/11).
4. Dem Inhalt eines Auskunftsanspruchs können Vorschriften der DSGVO oder der strafrechtliche Geheimnisschutz (§ 203 StGB) entgegenstehen.
IV.
Inlandsbezug des Betriebsbegriffs im KSchG
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2.09.2025 – 4 SLa 200/24
1. Für die Beschäftigtenzahl nach § 23 Abs. 1 KSchG ist regelmäßig nur auf Betriebsangehörige im Inland abzustellen.
2. Im Fall wurde ein Einzelarbeitsverhältnis nach mehreren örtlichen Geschäftszweigverkleinerungen (allseits bewusst) mit deutschem Vertragsstatut an ein ausländisches Partnerunternehmen abgegeben, für das sich ersichtlich keine Betriebsvoraussetzungen zum deutschen Kündigungsschutz mehr ergeben konnten; jedenfalls in solcher Konstellation fehlen besondere Schutzgesichtspunkte, um Abweichungen vom Inlandsbezug des § 23 Abs. 1 KSchG anzunehmen.
V.
Einigungsstelle – offensichtliche Unzuständigkeit – Sozialplan – Beginn der Umsetzung einer Betriebsänderung – nachträglich gegründeter Betriebsrat – Wettlauf – Täuschung über Planungsstand –Vereitelung der rechtzeitigen Wahl eines Betriebsrats
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.09.2025 – 2 TaBV 2/25
1. Wird in einem bislang betriebsratslosen Betrieb ein Betriebsrat erst gebildet, nachdem der Arbeitgeber mit der Umsetzung der Betriebsänderung begonnen hat, steht dem Betriebsrat nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung (zuletzt BAG 8. Februar 2022 – 1 ABR 2/21 – BAGE 177, 104 ff) kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht auf Abschluss eines Sozialplans zu.
2. Ein Betriebsrat kann und soll nach der gesetzlichen Konzeption bei Vorliegen der Voraussetzungen unabhängig von einem bestimmten Mitbestimmungstatbestand gebildet werden.
3. Täuscht der Arbeitgeber die Belegschaft über den Planungsstand betreffend eine Betriebsänderung, kann hieraus eine Schadensersatzpflicht nach § 280 Abs. 1 BGB entstehen. Die Pflicht, nicht bewusst die Unwahrheit über betriebliche Planungen zu verbreiten, besteht nach ihrem Schutzzweck aber nicht zur Ermöglichung der rechtzeitigen Gründung eines Betriebsrats zur Wahrnehmung eines Beteiligungsrechts betreffend diese Planungen. Täuschungen über tatsächliche Umstände, die ein bestimmtes Mitbestimmungsrecht auslösen können, sind nicht deshalb verboten, weil sie Einfluss auf die Willensbildung der Belegschaft zur Gründung eines Betriebsrats haben könnten.
4. Eine generelle Verpflichtung des Arbeitgebers, mit einer an sich beteiligungspflichtigen Maßnahme so lange zu warten, bis im Betrieb ein funktionsfähiger Betriebsrat vorhanden ist, enthält das Betriebsverfassungsgesetz nicht. Genauso wenig ist es dem Arbeitgeber verboten, den zunächst geplanten Beginn der Umsetzung einer Maßnahme in Ansehung einer Betriebsratsgründung zu beschleunigen. Einen „Wettlauf“, bei dem zwar die Beibehaltung des eingeschlagenen Tempos erlaubt, die Beschleunigung jedoch verboten ist, gibt es aus Rechtsgründen nicht.
VI.
Beweiserleichterung bei entgangenem Gewinn
BGH, Urteil vom 14.10.2025 - VI ZR 14/25
a) Fordert der Geschädigte entgangenen Gewinn, enthält § 252 BGB eine § 287 ZPO ergänzende Beweiserleichterung, wonach der Geschädigte nur die Umstände darzulegen und in den Grenzen des § 287 ZPO zu beweisen braucht, aus denen sich nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge oder den besonderen Umständen des Falls die Wahrscheinlichkeit des Gewinneintritts ergibt.
b) Die Erleichterungen der § 252 BGB, § 287 ZPO ändern nichts daran, dass es im Rahmen der notwendigen Prognose des entgangenen Gewinns im Sinne des § 252 Satz 2 BGB konkreter Anknüpfungstatsachen bedarf, die der Geschädigte darlegen und zur Überzeugung des Gerichts nachweisen muss.
VII.
WEG: Verpflichtung zur Erstellung der Jahresabrechnung
BGH, Urteil vom 26.09.2025 - V ZR 206/24
a) Zur Erstellung von Jahresabrechnungen ist die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer verpflichtet; als ausführendes Organ muss der bestellte Verwalter auch ausstehende Abrechnungen für Vorjahre erstellen.
b) Daneben kann auch der frühere Verwalter aus dem Verwaltervertrag weiterhin verpflichtet sein, die Jahresabrechnung zu erstellen, sofern die Pflicht der Gemeinschaft bereits während seiner Amtszeit entstanden ist.
c) Die Pflicht der Gemeinschaft zur Erstellung der Jahresabrechnung entsteht am 1. Januar des folgenden Kalenderjahres; der frühere Verwalter, dessen Amtszeit zum 31. Dezember des Vorjahres geendet hat, ist nicht zur Erstellung der Jahresabrechnung für das Vorjahr verpflichtet.
VIII.
Vermögensauskunft für GmbH
BGH, Beschluss vom 22.10.2025 – I ZB 47/25
a) Zur Abgabe der Vermögensauskunft für eine GmbH ist grundsätzlich diejenige Person verpflichtet, die im Zeitpunkt des für die Abgabe der Vermögensauskunft bestimmten Termins ihr Geschäftsführer ist.
b) Die Pflicht zur Abgabe der Vermögensauskunft trifft den ausgeschiedenen Geschäftsführer nur für den Fall, dass sich die Berufung auf die Beendigung der Organstellung als rechtsmissbräuchlich erweist. Dies kann der Fall sein, wenn Veränderungen in der gesetzlichen Vertretung der GmbH während des Zwangsvollstreckungsverfahrens erfolgen.
c) Kann der gesetzliche Vertreter einer juristischen Person im Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft nur angeben, dass er zur Erteilung von Auskünften zu dem zu offenbarenden Vermögen nicht in der Lage ist, weil er die ihm als gesetzlichem Vertreter übertragenen Aufgaben nicht ausführe, keine Kenntnisse über die geschäftliche Tätigkeit des Unternehmens habe und Auskünfte allein eine andere Person erteilen könne, ist auf Antrag des Gläubigers auch derjenige, der faktisch die Organstellung ausübt, zur Abgabe der Vermögensauskunft zu laden.
IX.
Verhaltensbedingte Kündigung, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung über das Internet
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 5. September 2025 – 14 SLa 145/25
Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung bejaht nach Vorlage einer im Internet gegen Gebühr erworbenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ohne Arztkontakt (unechte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung).
X.
Unterlassene Zielvereinbarung - Schadensersatz –
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 11. September 2025 – 15 SLa 12/25
•1.
Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen seine arbeitsvertragliche Verpflichtung, mit dem Arbeitnehmer für eine Zielperiode Ziele festzulegen, an deren Erreichen eine Prämie geknüpft ist, löst jedenfalls nach Ablauf der Zielperiode gemäß § 280 Abs. 3 BGB iVm. § 283 Satz 1 BGB grundsätzlich einen Schadensersatzanspruch aus.
•2.
Eine teilweise Streichung unter Aufrechterhaltung der Ausschlussfristenregelung im Übrigen in Anwendung des sog. blue-pencil-Tests scheidet aus, wenn es sich um eine einheitliche Regelung handelt, die inhaltlich nicht teilbar ist. Dies ist der Fall, wenn durch Streichung einer Alternative der Anwendungsbereich der verbleibenden Alternative erweitert würde. Eine solche inhaltliche Verschränkung liegt vor, wenn die Klausel eine Grundausschlussfrist und Ausnahmen hierzu beinhaltet, die auf die Grundausschlussfrist Bezug nehmen.
•3.
Eine Ausschlussfristenregelung benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen, wenn der Arbeitgeber zu seinen Gunsten Ansprüche (hier auf Rückforderung überzahlter Vergütung) von der Geltung der Ausschlussfrist ausnimmt, ohne dem Arbeitnehmer einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen.
Michael Henn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht Fachanwalt für Arbeitsrecht
Schriftleiter mittelstandsdepesche
Rechtsanwälte Dr. Gaupp & Coll.
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Tel.: 0711/ 30 58 93-0Fax: 0711/ 30 58 93-11
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