Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch eigene Angaben des Arbeitnehmers
Die Entscheidung des LAG Köln vom 03.06.2025 (7 SLa 54/25) stärkt die Position von Arbeitgebern im Umgang mit zweifelhaften Krankmeldungen.
Bereits eigene Angaben des Arbeitnehmers oder ein widersprüchliches Verhalten können den Beweiswert einer AU-Bescheinigung erschüttern. Für Arbeitnehmer bedeutet dies, dass sie im Streitfall eine Erkrankung konkret und nachvollziehbar belegen müssen, um ihren Anspruch auf Entgeltfortzahlung zu wahren.
1. Hintergrund und rechtlicher Ausgangspunkt
Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) gilt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts als zentrales Beweismittel für das Vorliegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Sie besitzt einen hohen Beweiswert, der jedoch nicht unumstößlich ist. Arbeitgeber können diesen Beweiswert erschüttern, wenn objektive Umstände oder widersprüchliche Angaben des Arbeitnehmers Zweifel an der tatsächlichen Erkrankung begründen.
Das Landesarbeitsgericht Köln hat in seiner Entscheidung vom 03. Juni 2025 klargestellt, dass selbst eigene Einlassungen des Arbeitnehmers geeignet sein können, den Beweiswert einer ärztlichen Bescheinigung in Frage zu stellen.
2. Sachverhalt
Ein Busfahrer war seit 2022 beschäftigt. Im Herbst 2023 sollte er auf neue Linien eingewiesen werden, was er ablehnte. Kurz vor Beginn der Einweisung legte er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen einer Magen-Darm-Erkrankung vor. Während der Krankschreibung wurde er jedoch wiederholt in der Öffentlichkeit, unter anderem in einer Eisdiele, beobachtet.
Nach Ablauf der ersten Krankschreibung erschien der Arbeitnehmer zur Einweisung, zeigte jedoch kein Interesse an der Tätigkeit. Am Tag, an dem er nach eigener Aussage eine Kündigung erwartete, gab er seine Dienstkleidung zurück und legte erneut eine Erstbescheinigung vor. Erst Wochen später folgte eine weitere AU-Bescheinigung mit abweichenden Diagnosen.
Der Arbeitnehmer verlangte Entgeltfortzahlung für sämtliche Krankheitszeiträume. Das Arbeitsgericht sprach ihm nur für einen kurzen Zeitraum Lohnfortzahlung zu; im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.
3. Entscheidung des LAG Köln
Das Landesarbeitsgericht bestätigte im Wesentlichen die Entscheidung der Vorinstanz.
a) Erschütterung des Beweiswerts
Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei für den Zeitraum ab dem 16.10.2023 erschüttert.
Ausschlaggebend war der auffällige zeitliche Zusammenhang zwischen der Rückgabe der Dienstkleidung, der Erwartung einer Kündigung und dem Beginn der erneuten Krankschreibung. Dieses Verhalten begründe ernsthafte Zweifel an der tatsächlichen Erkrankung.
b) Beweislast des Arbeitnehmers
Ist der Beweiswert erschüttert, trägt der Arbeitnehmer nach § 3 Abs. 1 EFZG wieder die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Allgemeine Hinweise auf Diagnosen oder Krankheitsbilder genügen nicht; erforderlich ist eine konkrete Darstellung der Symptome und deren Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit.
c) Fortsetzungserkrankung
Der Kläger habe zudem nicht hinreichend dargelegt, dass es sich bei den späteren Krankheitszeiten nicht um Fortsetzungserkrankungen im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG gehandelt habe. Mangels substantiierten Vortrags entfalle daher der Anspruch auf weitere Entgeltfortzahlung.
d) Berechnungsgrundlage
Für die Höhe der Entgeltfortzahlung gelte das Entgeltausfallprinzip (§ 4 Abs. 1 EFZG). Maßgeblich ist demnach das Entgelt, das der Arbeitnehmer ohne Arbeitsunfähigkeit erzielt hätte. Ein Rückgriff auf Durchschnittswerte oder Referenzzeiträume sei unzulässig.
4. Bedeutung der Entscheidung für die Praxis
Das Urteil verdeutlicht, dass der hohe Beweiswert der AU-Bescheinigung nicht unerschütterlich ist.
Arbeitgeber dürfen den Beweiswert anzweifeln, wenn der zeitliche Ablauf oder das Verhalten des Arbeitnehmers Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Erkrankung aufkommen lassen – etwa bei Konflikten über Versetzungen, Kündigungsandrohungen oder auffälligen Krankheitsmustern.
Wird der Beweiswert erfolgreich erschüttert, obliegt es dem Arbeitnehmer, detailliert und nachvollziehbar seine Arbeitsunfähigkeit zu beweisen. Gelingt ihm dies nicht, entfällt der Anspruch auf Entgeltfortzahlung.
5. Handlungsempfehlungen für Arbeitgeber
Krankheitsumstände prüfen: Achten Sie auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen Krankmeldung, Konflikten oder organisatorischen Veränderungen.
Dokumentation sichern: Beobachtungen, Aussagen oder schriftliche Erklärungen sollten festgehalten werden.
Rechtslage sorgfältig prüfen: Eine bloße Vermutung genügt nicht – konkrete Anhaltspunkte müssen vorliegen.
Lohnfortzahlung an Bedingungen knüpfen: Bestehen begründete Zweifel, kann eine Zahlung zunächst verweigert werden, bis der Arbeitnehmer substantiiert nachweist, dass tatsächlich Arbeitsunfähigkeit bestand.
6. Fazit
Die Entscheidung des LAG Köln vom 03.06.2025 (7 SLa 54/25) stärkt die Position von Arbeitgebern im Umgang mit zweifelhaften Krankmeldungen.
Bereits eigene Angaben des Arbeitnehmers oder ein widersprüchliches Verhalten können den Beweiswert einer AU-Bescheinigung erschüttern. Für Arbeitnehmer bedeutet dies, dass sie im Streitfall eine Erkrankung konkret und nachvollziehbar belegen müssen, um ihren Anspruch auf Entgeltfortzahlung zu wahren.
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